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Kurven im gelobten Land

Von Offenburg durch das Markgräflerland nach Weil am Rhein.

September 2018.  Von Josef Clahsen mit Fotos von Wolfgang Groeger-Meier

Bundesstrasse3_07125Wolfgang kommt mit dem mintgrünen BMW 2002 ums Eck‘ und löst damit Haben-will Begehrlichkeiten und Sehnsüchte aus. „Wie heißt er?“, frage ich direkt. Haben deine Autos einen Namen kommt als Antwort. Natürlich kann ich ‚der 02er‘ oder der BMW sagen, aber ein Auto Baujahr 1975, das keinen Namen hat, ist ein Unding. Vor allem dann, wenn er auf Alpina-Felgen mit pausbäckigen Reifen daherkommt und durch das Bilstein-Fahrwerk so aussieht, wie eine zum Sprung bereite Katze. Giftzwerg wäre eine Option, aber bei knapp 100 PS eher unpassend. Frosch wäre auch cool. Aber belanglos. Also nenne ich ihn heimlich Pea, wie die grüne Erbse. Und der Wackeldackel am Innenspiegel, Baujahr 1972, heißt natürlich Waldi.

Bundesstrasse3_06401Die Sehnsucht nach Heimat, nach langsamer Taktung und einem Leben im Rhythmus der Jahreszeiten scheint hier erfüllt. Pea schnurrt dazu im vierten Gang durch „cremige Kurven“ (Wolfgang Abel) an unendlichen Streuobstwiesen entlang, bevor ein weiteres Tempo-30-Schild allzu ungestüme Zeitgenossen ausbremst. Ist das das gelobte Land?

Bundesstrasse3_06432Tradition steht im Mittelpunkt, wenn man hier unter knorrigen Linden auf Holzbänken sitzt, den Blick schweifen lässt, ohne von Effizienz und EU-zertifizierter Natur gebremst zu werden.

Bundesstrasse3_06403Jochen Köppen, 81, lebt seit mehr als 30 Jahren hier, stampft stramm und forschen Schrittes durch die Weinberge. „Den hatte ich mal als 1802,“ platzt es aus ihm heraus, als er auf Pea zukommt. Inzwischen fährt er Golf Plus, „aber auch nur etwa 1200 Kilometer im Jahr. Ich pflege meine Freundin, da fährt man nicht so viel rum.“

Bundesstrasse3_06412Zufrieden steppt er weiter, ein Lied auf den Lippen. Ob er wohl vorab schon ein kleines Gläschen zu sich genommen hat?

Bundesstrasse3_06724Mag sein. Denn „der Gutedel ist ein Wein für morgens, mittags und abends,“ schätzt Paulin Köpfer, Betriebsleiter beim Weingut Zähringer in Heitersheim. Er ist seit morgens um vier Uhr mit den Erntehelfern bei der Weinlese und hat trotzdem beste Laune. In vino also doch hilaritas? Köpfer hat sicher bei diesem harten Job keinen Alkohol getrunken, aber die Freude darauf, was aus den Trauben für Gewürztraminer in den Betberger Weinbergen werden könnte, stimmt ihn fröhlich.

Bundesstrasse3_06653Wie Erntehelferin Lea auch, die dieses Jahr zum zweiten Mal bei der Weinlese hilft.

Bundesstrasse3_06900Strahlend fröhlich ist auch Gerd Schindler in Mauchen „wir sagen Muchen“. Im Weingut Lämmlin Schindler herrscht ebenfalls Weinlese-Hochbetrieb. Aber mit ruhig dosierter Handbremse. Der Chef persönlich nimmt sich der B3ler Fraktion an. Er fährt vor Pea durch die Weinberge, weist auf die beste und größte Lage „Frauenberg“ hin und stoppt an einem Merlot-Weinberg, dessen Reben wie von einem teuren Coiffeur gestutzt sind. „Das Gras zwischen den Weinstöcken schneiden wir immer sehr hoch ab, damit auch die Eidechsen im Weinberg leben können,“ so der gertenschlanke Weinkönner. Seit 1984 hat er, wie viele in der Region, auf Bio-Anbau umgestellt, hat wilde Karotten, Klee und andere Gräser gepflanzt, statt mit Glyphosat zu „gifteln“. Der Boden, so der Weinphilosoph, „ist das Wichtigste, was wir als Winzer haben. Deshalb wird auch noch viel per Hand gelesen, denn ein Vollernter verdichtet den Boden zwischen den Reben viel zu sehr.“ Hinzu kommt im Weingut eine sogenannte Grünlese, bei der etwa 50 Prozent der Trauben noch im unreifen Zustand „gelesen“ und als Dünger im Weinberg belassen werden. Auch lose Steinhaufen an den Wegen, in denen sich kleine Wiesel verschanzen, die wiederum auf die Wühlmäuse Jagd machen, sind Teil der Bio-Bewirtschaftung. Das Resultat: Der Wein in der Flasche ist köstlich, leicht, bekömmlich. Lagen- und Sortenrein. Dazu empfiehlt Wolfgang Abel, sich „zwei, drei Lebenswinzer“ zu suchen. Und weiter: „Halten sie ihnen die Treue. Weinbau ist Langstrecke, jedes Jahr schmeckt anders … Wer zur Quelle geht, kann auf PR-Geklingel und Weinlyrik verzichten“.

Bundesstrasse3_06931Aus dieser „brutalst möglichen Idylle“ (Abel) müssen wir uns fortreißen. Die Arbeit ruft, auch wenn das Mahl in einem der Ochsen, Hirschen, Bären eher nach der Benutzung eines der Fremdenzimmer ruft. Um gleich am Abend wieder Platz zu nehmen. Zu Wein, erlesenen Spezialitäten und Gesprächen in der Weinlaube.

Unsere Mission heißt B3 und wir müssen sie von A bis Z in unser Brevier aufnehmen. B wie Basel ist die nächste Destination.

Bundesstrasse3_06560Vorher jedoch umkreisen wir das Vitra Design-Museum in Weil, wo sich eine allzu köstliche Melange ergibt. Hier der Blick auf das umtriebige Basel über das Rheinknie hinweg. Die andere Seite schaut aus verglastem Giebel in Richtung Ötlingen, wo Brauereibänke oder hölzerne Klappstühle den Gast willkommen heißen.

Bundesstrasse3_5291Frank Gehry hat hier oben in Ötlingen sicher ein paar Gläser Gutedel getrunken und sein Werk aus weiter Ferne und Höhe auf sich wirken lassen. Nirgendwo entlang der B3 ist der Kontrast zwischen Land, Stadt und Design größer. Und doch ist die Moderne, die Zukunft, ist das Design dem Umland nicht fremd.

Bundesstrasse3_5297Erst im Fremdenzimmer im – na – Ochsen in Ötlingen, in luftiger Höhe auf der Weitblick-Terrasse mischt sich der hehre Anspruch der Designer mit dem natürlichen Charme eines glühenden Sonnenuntergangs.

Selbstverständlich können wir im Markgräflerland nicht in Ruhe essen und trinken, wenn wir nicht das entscheidende Foto geschossen haben.

Bundesstrasse3_06545Das A bis Z der B3 endet erst mit einer Belichtung am Zoll in Weil-Ottersbach. Hier läuft die B3 an der Landesgrenze zur Schweiz aus, um danach als Hauptstraße 3/7 weiter Richtung Basel zu führen.

Wir drehen um. Die Mission der deutschen Route 66 ist nach gefühlten 800 Kilometern an ihrem Ziel angekommen. Die ehemalige Reichsstraße ist auch als Bundesstraße reich geblieben. Reich an Menschen, deren Leben oder Schicksal eng mit der Straße verbunden ist. Reich an Motiven, die für den Begriff Heimat stehen. Reich an Geschichten und Erzählungen, die der zweitlängsten deutschen Straße ihren Ruf als langes Roadmovie für Entschleunigte belegen. Reich aber auch, wie der letzte Abschnitt im Markgräflerland zeigt, an  Impressionen, Genüssen und Landschaften, die einmalig sind. Mit einer Bandbreite, die extremer kaum sein kann.

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Fortsetzung folgt im Buch „Lockruf des Südens“.